Kolumne

Himali und die Frage nach der Zugehörigkeit

Die Ärztin Himali McInnes setzt sich dafür ein, Stereotype zu überwinden und jeden Menschen in seiner Verschiedenheit wertzuschätzen. Das hat auch mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Uwe Heimowski hat sie getroffen.
Von PRO
Himali und Ian McInnes

Zuerst hört man sie. Dieses glockenhelle, ansteckende Lachen. Dann sieht man sie. Zimtfarbene Haut, wie sie selber es nennt, haselnussbraune Augen, schwarze Haare mit frechen blauen Strähnchen. Himali McInnes – das ist Lebensfreude pur.

Die Ärztin ist in Sri Lanka geboren, heute lebt sie mit ihrem Mann Ian, dem Leiter der Hilfswerke Compassion und Tearfund, in Neuseeland. „Sie ist auch Schriftstellerin“, erklärt Ian stolz. Himali hat einen Band mit Essays veröffentlicht, schreibt aber auch Kurzgeschichten. „Eine preisgekrönte Schriftstellerin“, setzt der stolze Ehemann noch einen drauf.

Wir sitzen in einem Taxi in Kigali, Ruanda, ich werde neugierig. Gerne lässt Himali sich fragen „Kilinochchi“ heißt die Geschichte, mit der sie 2023 die „Common Wealth Short Story Competition“ gewann. Eine fiktive Geschichte, in der es um „belonging“ geht, um Zugehörigkeit. Um die Frage nach Heimat und Herkunft, um Ethnie und Identität, um Kultur und Religion. Eine Geschichte, in der sich biografische Erfahrungen spiegeln.

Die Geschichte handelt von Nisha, einer tamilischen Teepflückerin aus dem Landesinneren, die aus einer langen Reihe von Zwangsarbeitern stammt. Sie heiratet einen Neuseeländer und zieht mit ihrem Sohn dorthin – der später nach Sri Lanka zurückkehrt, um sich den „Tamil Tigers“ (eine paramilitärische Organisation, Anm. d. Red.) anzuschließen. In der Hoffnung, ihr Kind zu finden, folgt Nisha ihm in das Kriegsgebiet nach Kilinochchi im Norden Sri Lankas.

„Jeden Tag werde ich mindestens einmal gefragt, wo ich herkomme.“

Himali erklärt: „In Kilinochchi geht es um die unterschiedlichsten Themen wie Bürgerkrieg, Schuldknechtschaft und Identitätsbildung. Es ist eine Geschichte, die einfach aus mir heraussprudelte. Sobald die Person Nisha in meinem Kopf auftauchte, folgte der Rest, und ich konnte nicht aufhören zu schreiben.“

Die Geschichte ist von ihrer Identität als Neuseeländerin aus Sri Lanka beeinflusst, die sich in keinem der beiden Länder ganz zu Hause fühlt. „Jeden Tag werde ich mindestens einmal gefragt, wo ich herkomme“, erzählt sie nüchtern und reflektiert, „manchmal ist das reine Neugierde, so wie man mich fragt, was ich beruflich mache – aber manchmal spüre ich sehr deutlich, dass der Fragende mir zu verstehen geben will: Deine Hautfarbe macht dich anders, du bist nicht wie wir, du gehörst nicht zu uns.“

Himali wird in Sri Lanka als älteres von zwei Kindern geboren. Ihr Vater ist Buchhalter, ihre Mutter Ärztin. Als sie ein Jahr alt ist, zieht die Familie wegen der Arbeit ihrer Eltern nach Malaysia. Acht Jahre später geht es nach Papua-Neuguinea. Als Himali 15 Jahre alt ist, lässt sich die Familie in Auckland nieder.

Beruflich folgt sie den Spuren ihrer Mutter und wird Ärztin. Die Jahre der Wanderschaft gehen weiter, als sie Ian heiratet: Er studiert in England, sie arbeiten in verschiedenen Ländern und kehren schließlich nach Neuseeland zurück.

Ein „unvergesslicher Patient“

Himali wusste schon immer, dass sie schreiben wollte, aber es war schwierig, die Zeit und Energie aufzubringen, während sie als Ärztin arbeitete. 2019 reduzierte sie die Stelle in der Allgemeinmedizin, um mit der Arbeit an einem ersten Buch zu beginnen.

Zu dem Essayband „The unexpected patient“ wurde sie durch die Geschichte eines „unvergesslichen Patienten“ inspiriert. Den Māori-Mann hatte sie über ein Jahrzehnt lang in der Klinik behandelt. Er litt an einem chronischen Lungenleiden, das sich durch Rauchen, feuchte Wohnverhältnisse und übermäßigen Alkoholkonsum verschlimmert hatte. Als er eines Tages in der Praxis von Himali kam, damit sie ihm weitere Antibiotika verschrieb, sprach er über sexuellen Missbrauch, den er in seiner Kindheit erlebt hatte. Dieses Gespräch sollte sein Leben verändern und auch Himali – Dr. McInnes – tief berühren. Gemeinsam begannen sie, seine Geschichte zu entwirren.

Neben dieser enthält ihr erstes Buch weitere Fallbeispiele, für die sie viele Patienten sowie Kolleginnen und Kollegen interviewt. Sie selber habe durch die Recherche und das Schreiben viel gelernt, sagt sie. Und es hat sie inspiriert, Menschen ganzheitlich zu sehen:

„Als Ärztin möchte ich, dass sich die Menschen bewusst werden, dass es in der Medizin um mehr geht als um die körperlichen Symptome eines Patienten. Es gibt so vieles zu berücksichtigen, was wichtig ist. Das Mentale, Physische, Emotionale und Spirituelle. Die Auswirkungen der Vergangenheit und generationenübergreifende Traumata.“

Ich stelle viele Fragen: Wie können wir umgehen mit den Verletzungen unserer Geschichte? Wie schaffen wir es, Menschen, die „fremd“ aussehen oder nicht den Normen der Gesellschaft entsprechen, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln?

Himali antwortet bedacht: „Es wird nicht immer gelingen. Für Christen gilt: Indem wir die Menschen so sehen, wie Gott sie sieht: Sie sind seine Geschöpfe, er liebt sie. Und wenn ich einen Menschen liebe, dann stecke ich ihn nicht in eine Schublade, sondern höre ihm zu, versuche ihn zu verstehen. Für mich selber war es wichtig, dass ich ein Ja zu meiner eigenen Identität finde: Ich bin, wer ich bin, mit meiner Geschichte und meinem Aussehen. So sagt Gott ja zu mir.“

Sie macht eine kurze Pause und ergänzt: „Derzeit gibt es weltweit eine ermutigende Entwicklung hin zur Wahrnehmung und Wertschätzung von Außenseitern. Ich bin zuversichtlich, dass wir als Gesellschaft Vorurteile und Stereotypen überwinden werden, wenn wir die unterschiedlichen Geschichten der anderen annehmen und uns als facettenreiche Gesellschaft erkennen. Jeder gehört dazu, als Menschen, nicht als Etikett.“ Himali hat so viel zu sagen. Ich könnte ihr noch lange zuhören. Doch das Taxi ist am Ziel. Wir verabschieden uns. Und als letzten Gruß bekomme ich noch einmal Himalis herzliches Lachen mit auf den Weg.

Zur Person

Uwe Heimowski ist Leiter der christlich-humanitären Hilfsorganisation „Tearfund“ und Mitglied des Vorstandes der Christlichen Medieninitiative pro, die auch das Christliche Medienmagazin PRO herausgibt. An dieser Stelle schreibt er einmal im Monat darüber, was er mit Menschen aus aller Welt erlebt.

Von: Uwe Heimowski

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